DVD, VOD, PODCAST & CO
Die digitale Auswertung von Dokumentarfilmen
Was bleibt? Was kommt? — Eine Zwischenbilanz
Dokumentarfilm auf DVD – (Vertriebs)Chancen und Sackgassen. Ein Markt-Überblick
Autor: Jörg Gerle
Dokumentation des Workshops
September 2007
Dokumentarfilm auf DVD- Vertriebschancen und Sackgassen
Seit einer ersten Projektion seitens der DFI im Workshop „Bonus, Extra und noch mehr Was bringt die DVD dem Dokumentarfilm?“ am 27. April 2001 hat die DVD eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben. Gut 36.000 Publikationen sind auf den Markt geworfen worden, allein 8.200 Titel davon im Jahr 2006. Mit dem DVD-Verkauf verdienen die Majors inzwischen mehr als an der Kinokasse, was allerdings nicht bedeutet, dass das Medium ohne das Instrument der Kinosauswertung auskommt. Im Gegenteil: Beide Auswertungsplattformen nutzen die sich aus ihrer Verschachtelung ergebenden Synergien, um den Kinofilm als Wirtschaftsgut weiterhin effizient zu halten. In der aktuellen Markterhebung der GfK Panel Service Deutschland im Auftrag der FFA und publiziert vom Bundesverband audiovisueller Medien – aus der sich (falls nicht anderes bezeichnet) alle folgenden Daten ergeben – verzeichnet eine konstante Wechselwirkung zwischen Einspielergebnisse an der Kinokasse und Verkaufzahlen im DVD-Bereich. Auf der anderen Seite ist ein erfolgreicher Vertrieb eines Produktes auf DVD immer auch ein Werbe- und Finanzierungsfaktor für den Kinomarkt der Zukunft.
Jenseits aller kalkulierbaren Randbedingungen gibt es indes nicht planbare Phänomene, die für Erfolg und Misserfolg einzelner Produkte und mithin ganzer Segmente verantwortlich sind. Betrachtet man die Kinozahlen (nach EDI Nielsen/FFA) genießen Dokumentarfilme seit 2004 eine breite Akzeptanz. Das liegt u.a. daran, dass sich sowohl die Verleiher als auch die Kinobetreiber mehr und mehr bereit finden, dem Dokumentarfilm eine Chance auch im Kino zu geben. Eine Art Initialzündung mag hier der ungewöhnliche Erfolg von „Rhythm is it!“ gewesen sein, der auf der Berlinale 2004 zum Publikumshit avancierte, darüber eine außerordentlich breite Presseresonanz nach sich zog und daraufhin einen über 80 Wochen währenden Kinoeinsatz erfuhr und 630.000 Zuschauer (bis Mitte 2006) generierte. Sicherlich gab es immer wieder erfolgreiche Dokumentarfilmformate in den vergangenen Jahren wie etwa „Mikrokosmos“ (1996), „Buena Vista Social Club“ (1998) oder „Nomaden der Lüfte“ (2001), die sogar ein Millionenpublikum ins Kino lockten, dennoch ist es „Rhythm is it!“,
aber auch dem im gleichen Jahr gestarteten „Die Geschichte des weinenden Kamels“ zu verdanken, dass der Fokus weg von eher unterhaltenden, reinen Musik- und Naturfilmthemen hin zu soziologisch relevanten Dokumentarfilmen wanderte. Neben abzusehenden Blockbuster-Phänomenen im Dokumentarfilmsegment wie „Die Reise der Pinguine“ (2005; 1,5 Mio. Zuschauer) oder „Deutschland – Ein Sommermärchen“ (2006, 4 Mio. Zuschauer) sind in den letzten drei Jahren auch immer wieder „kleine“, sich mit dezidierten Randgruppenthemen befassende, zunehmend auch deutsche Dokumentarfilme im Kino angekommen und haben einen relativ beachtlichen Erfolg erzielt. So etwa: „Die Spielwütigen“ (2004, 60.000 Zuschauer), „Die Geschichte des weinenden Kamels“ (2004, 350.000), „Die große Stille“ (2005, 150.000), „What the Bleep do we know“ (2004, 140.000), „Crossing the Bridge“ (2005, 110.000), „Die Höhle des gelben Hundes“ (2005, 230.000), „Eine unbequeme Wahrheit (2006, 360.000), „We feed the World“ (2006, 370.000), „Am Limit“ (2007, 175.000), „Prinzessinnenbad“ (2007, 70.000), „Full Metal Village“ (2007, 160.000). Eingedenk dieser oben genannten Randbedingungen ist auch der Dokumentarfilm eine Gattung, die auf DVD zunehmend präsenter wird.
Special Interest und Dokumentarfilm
Auch wenn der Umsatz im Home Entertainment Segment seit 2004 auf hohem Niveau stagniert (vgl. Abb. 1 im Anhang), was vor allem den stetig fallenden Verkaufspreisen geschuldet ist (49% des Ausstoßes kosteten 2006 15 Euro oder weniger; 2002 waren es gerade 21%), das Medium floriert und prosperiert; 2006 stieg die Anzahl der verkauften DVDs erstmals über die 100 Millionen-Marke. Für unser Untersuchungsgebiet bemerkenswert ist, dass innerhalb der letzten drei Jahre der Bereich des „Special Interest Segmentes“ (unter die die Gattung des Dokumentarfilms von Seiten der Wirtschaft subsumiert wird) signifikant gestiegen ist. Noch im Jahre 2002 hat die Videoindustrie in Deutschland lediglich 400.000 Einheiten der „Special Interest“-DVDs abgesetzt. Doch bereits vier Jahre später hat sich der Verkauf dieser vielfältigen Formate bereits auf 5,3 Mio. Discs um mehr als 1.300% gesteigert. In 2006 verzeichnete dieses Segment daher einen Umsatzzuwachs von +39% im Vergleich zum Vorjahr (vgl. dazu Abb. 2 & 3). Zu bedenken ist allerdings, dass gerade ob der sehr diffusen Eingrenzung des Dokumentarfilmsegmentes nicht davon ausgegangen werden kann, dass der klassische Dokumentarfilm auf DVD ein großer Verkaufsschlager ist. Sicherlich sind die ebenfalls in das „Special Interest“ Segment gruppierten Lifestyle- und Esoterik-Formate sowie die im Kino gut laufenden Sport- und Natur-Formate für die großen Steigerungsraten verantwortlich. „Deutschland – Ein Sommermärchen“ hat beispielsweise laut Verleihangaben eine verkaufte Auflage von inzwischen 600.000 DVDs, „Die Reise der Pinguine“ und „Deep Blue“ von je etwa 300.000. Dennoch ist zu verzeichnen, das inzwischen weit über 1000 klassische Dokumentarfilm-DVDs in Deutschland erhältlich sind, dass auch „speziellere“ Themen wie „Rhythm is it!“, „Eine unbequeme Wahrheit“ hohe fünf oder „Rivers and Tights“ und „Die große Stille“ hohe vierstellige Verkaufszahlen zu verzeichnen haben. In den Dokumentarfilm- Verkaufscharts von Amazon etwa finden sich auch Jahre nach VÖ Filme wie „Die große Stille“, „Buena Vista Social Club“, „Supersize Me“, „Unser täglich Brot“, „Darwins Alptraum“ oder selbst Klassiker wie „The Endless Summer“. Nicht verschweigen sollte man indes, das die Verkaufzahlen vieler „exotischer“ Dokumentationen aus dem Kunst- und Experimentalfilmbereich kaum über dreistellige Verkaufszahlen hinaus kommen. Trotzdem ist die Vielfalt, was die reine Verfügbarkeit von Dokumentarfilmen betrifft, seit 2001 enorm gestiegen.
Wer kauft Dokumentarfilme auf DVD?
Aufgrund der sich als schwierig gestaltenden Definition des Dokumentarfilms, ist auch eine dezidierte Zielgruppendefinition kaum zu leisten. Das Käuferprofil sagt allenfalls aus, dass im Bereich des „Special Interest“-Segments die Alterschichtung mit einem Durchschnitt von 45,7 Jahren höher ist als in den anderen Bereichen – er liegt 7,1 Jahre über dem Durchschnittsalter der DVD-Käufer, was höchstens für eine finanziell potente Käuferschicht spricht, die das Hochpreissegment, in dem sich der Dokumentarfilm zumeist befindet, nicht abschreckt. Demnach sind auch die Vertriebstrategien seitens der Verleiher in diesem Segment eher diffus. Grundsätzlich findet eine Konzentration diverser Klein- und Kleinstverleiher in Vertriebsnetzen wie „Indigo“ (vertreibt die Publikationen des Kinoverleihverbundes „Good Movies“) oder „Al!ve“ (u.a. Absolut Medien, Alamode, Edition Filmmuseum, Filmgalerie 451) statt, in denen, allein aufgrund des Marktpotentials und durch die Bündelung qualifizierten Vertriebspersonals, auch exotischere Dokumentarfilm-Formate Einzug in den „Mainstream“-Handel finden. Allein durch die Listung der Produkte ist somit ein Verkauf an ein breites, interessiertes Publikum theoretisch möglich. Dennoch gestaltet sich durch die Subsumierung der Gattung unter „Special Interest“ der Verkauf als schwierig, da die potentielle Kundschaft visuell nicht angesprochen wird. Um dieses Manko zu kanalisieren, startet die Kinowelt als DVD-Produzent in großen Verkaufsmärkten wie den Saturn-Märkten Hamburg (Mönckebergstraße, Premium-Shop), Köln und Berlin (Europacenter), Berlin (Alexanderplatz und Potsdamer Platz) sowie im Film Express Kiel augenblicklich einen Test, mit einem Shop im Shop Konzept. Die sogenannten Arthaus-Shops bieten auf separaten Raum qualitativ hochwertige Editionen an und setzten dabei auf das „eye catcher“-Phänomen. Zudem wurde mit dem Kauf des Versand/Verkaufs/Online-Vertriebshandels „Zweitausendeins“ die Grundlage geschaffen, um mit den DVDs auch effektiver ins Buchhandelssegment einzudringen, in dem man sich einen besseren Absatz von dezidiert hochwertigeren Publikationen verspricht. Auch der Vertrieb über die verleiheigenen Websites ist ein inzwischen gängiges Konzept, setzt allerdings einen gut informierten Kunden voraus, der gezielt nach Ausgaben sucht.
Fördermittel für DVDs?
Um Vertriebsstrategien auch bei kleinem Budget zu nutzen, sieht u.a. die öffentliche Hand inzwischen ebenfalls Vertriebs- und Produktionsförderungen vor. Allerdings ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Förderungsgremien und Institutionen erst dann über Förderungsanträge von Filmemachern und Produzenten entscheiden, wenn diese bereits an einen Verleih gebunden sind. Auch ist zu konstatieren, dass sich, im Gegensatz etwa zur Kinoauswertung, die DVD-Auswertung noch nicht als allgemein förderungswürdig durchgesetzt hat und die Positionen der einzelnen Länderförderer stark voneinander divergieren. Die Exportunion des dt. Films z.B. fördert lediglich die Untertitelung von Printkopien, wo hingegen die FFA umfangreiche Förderungen auch für den DVD-Bereich vornimmt. Nach unterschiedlichen Förderbereichen, etwa §§ 53a, 54, 55 FFG 53b der Förderrichtlinien (Projektförderung/Medialeistungen/Programmanbieter) gewährt sie bis zu 600.000 Euro bedingt rückzahlbare, zinslose Darlehen. Allerdings nur für Filme ab dem Produktionsjahr 2003 (in Ausnahmefällen sind unter Bezug auf das „Filmische Erbe“ evtl. Förderungen älterer Filme in Höhe von € 5.000,- bis € 10.000,- möglich) und ab einer Lauflänge von mindestens 79 Minuten. TV-Produktionen werden grundsätzlich nicht gefördert. Verleihe wie Absolut Medien und Piffl gehören hier zu den etwa 25 Antragstellern im Quartal aus dem betrachteten Bereich.
Die Filmstiftung NRW fördert DVDs nur im Zusammenhang mit dem Antrag auf Kinoförderung. Die Prämisse der Förderanstalt liegt hier ganz dezidiert auf einer Kinoauswertung der Filme. Das Medienboard Berlin/Brandenburg fördert nicht; die Filmförderung Hamburg/Schleswig Holstein nur nach Etatlage und in Ausnahmefällen. Die Filmförderung Hessen indes fördert dezidiert DVDs. Besonders im Dokumentarfilmbereich, in dem sie beispielsweise die „European Doku Zone“ fördert, ist sie diesem Medium aufgeschlossen und handelt nach der Devise, dass jeweils „beste Medium für einen Film“ zu fördern. Die Medienvertriebsgesellschaft Baden Württemberg hat zwar erst 10-12 Förderungen in den letzten 12 Jahren im VHS/DVD-Bereich vorgenommen, ist aber dem Medium durchaus aufgeschlossen. Verleihe wie „Filmgalerie 451“, „Salzgeber“ oder „McOne“ haben die Förderung bislang genutzt (siehe auch unter den Adressen grundsätzlich förderbereiter Institutionen im Anhang).
Versteckte Dokumentarfilme
In die oben genannten Statistiken keinen Eingang finden sämtliche Dokumentationen, die im Bereich des Bonusmaterials auf DVD erscheinen. Gerade in diesem Bereich ist in den letzten Jahren jedoch eine besonders hohe Steigerungsrate in den Veröffentlichungen sowohl eigens für den Markt produzierter als auch additiv genutzter Fremd-Dokumentationen zu verzeichnen. Gerade in der ersten Auflage als sog. Single- oder Standard-Editionen veröffentlichte Kinofilme werden augenblicklich im großen Stil als Special-Edition mit Bonus-Sektion auf den Markt gebracht, in denen sich nicht selten Dokumentarfilme als Ergänzung Platz finden. Das betrifft augenblicklich noch eher Sujet gemäß filmaffine Dokumentationen, doch werden zunehmend auch edukative Programme mitunter teuer eingekauft, um den „Wert“ der Edition zu steigern. Die Bandbreite reicht von BBCDokumentationen bis hin zu Formaten mit dezidiert künstlerischem Anspruch wie etwa die Kurosawa-Dokumentation „AK“ von Chris Marker auf der Special Edition zu „Ran“. Die darüber hinaus zu beobachtende Entwicklung, dass durch diese interaktive Vernetzung ein Medium selbst zum Dokument avanciert, ist eine bislang noch viel zu selten gewürdigte grundsätzliche Chance des Medium DVD.
Die interaktiven Strukturen des Mediums, die u.a. eine Vernetzung von Film/Dokumentation mit Sekundär-Dokumenten, Audiokommentaren, weiteren Tonspuren und Arbeitsmaterialien ermöglicht, sind vom Rezipienten gewünscht, werden aber bislang eher nur für relativ erfolgreiche Formate umgesetzt. So gibt es neben der „Standard“-Edition von „Rhythm is it!“ auch eine „Collectors“- Edition mit zwei Bonus-DVDs. Nach Informationen von Kinowelt ist das Verhältnis der verkauften Standard/Special-Editionen etwa ¾ zu ¼ und geht in Einzelfällen wie „Mikrokosmos“ hoch auf ½ zu ½. Selbst Erfolge im kleineren Stil, wie am Beispiel der DVD von „Rivers and Tights“ von Absolut Medien ersichtlich, haben zur Folge, dass einer „Standard“-Edition eine „Special“-Edition (in Zusammenarbeit mit arte) mit ausführlichem Sekundärmaterial folgt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, das durch den Erfolg des digitalen Mediums und die dadurch möglich gewordene bessere „Ausbeutung“ und Zugänglichmachung der (internationalen) Archive auch im Dokumentarfilmbereich eine große Bandbreite an Dokumentationen dem Publikum bereit gestellt worden ist. In immer häufiger anzutreffenden Einzelfällen werden auch Dokumentationen selbst zum Anlass aufwändig produzierter Spezial-Editionen. In einer mangels Statistik nicht zu quantifizierenden Zahl sind Dokumentationen bereits Teil von Kinofilm-Special-Editions und damit dem Publikum erhalten. Sicherlich wird – wie in der multimedialen Geschichte üblich – auch die DVD nur ein Medium unter vielen sein. Sie hat sich aber im Gegensatz etwa zur Laserdisk, Minidisk, UMD (Universal Media Disc) und ähnlichen Formaten etabliert und wird auch durch etwaige „Zwischenlösungen“ wie Blue Ray und HD-DVD nicht vom Markt verdrängt werden, weil sie sich schnell als qualitativ hochwertiges und kostengünstiges Medium durchgesetzt hat.
Angesichts der anhaltend hohen Verkaufszahlen und der damit verbundenen Präsenz in den Haushalten ist nicht davon auszugehen, dass sich Käufer auf ein „nur marginal“ verbessertes, aber deutlich teureres Medium verlagern, das zudem die Anschaffung neuer Hardware erfordert. Downloadportale haben augenblicklich einen relativ starken Zuwachs in der Akzeptanz zu verzeichnen (Steigerung der Downloads vom 3. auf das 4. Quartal 2006 um 100% von 150.000 auf 300.000). Augenblicklich beschränkt sich das goutierte Angebot auf aktuelle Top 50-Produktionen im Spielfilmbereich. Eine ernstzunehmende Konkurrenz oder gar eine Bedrohung des DVD-Marktes ist nicht zu erkennen – vielmehr eine weitere Diversifizierung des Marktes und sich daraus ergebende neue Synergien.