Die Farbe des Geldes. Dokumentarfilme zur New Economy.
Filmeinführung zu „Triumph of the Nerds“
von Stefan Reinecke
Dokumentation der dfi-Tagung vom 26./27. Januar 2001
Einführung von Stefan Reinecke
In den 90er Jahren hat sich etwas seltsames ereignet, etwas dass zu unserer so debatten- und thesenfreudigen Öffentlichkeit, dass zu unserer tiefschürfenden Kulturkritik, der kein Mentalitätswandel entgeht, so recht nicht passen will. In den 90er hat sich, zumindest in Deutschland, das gesellschaftliche Verhältnis zur Technik um 180 Grad umgedreht. Es war ein stiller Wandel, eine Veränderung, die ohne Feuilletonaufmacher und ohne Bundestagsdebatten geschah. Dieser Wandel passierte wie von selbst.
Zur Erinnerung: In den 80er Jahren gab es Massenbewegungen gegen Großtechnologie. Reagans „Star War“ wurden als Ausdruck der Hybris verstanden, des Wahns mit Militär-Technik ein politisches Problem lösen zu können. 1986 explodierte Tschernobyl: Das war der katastrophale Beweis, dass die Menschen eine Technik erfunden hatten, die ihre eigene Möglichkeiten überstieg. Die Erkenntnis, dass Technik etwas potenziell Gefährliches ist, wurde in den 80er Allgemeingut. Genau das hat sich in den 90ern stillschweigend verändert. Die Apokalysefurcht verdampfte. Das hat mit 1989, dem Ende der Blöcke, dem Verschwinden der Atomkriegsangst zu tun - das Verschwinden der Technologieskepsis fußte freilich auf einer Alltagserfahrung. Und damit sind wir bei dem Film „Triumph of the Nerds".
Denn dieser Wandel, die stille Rehabilitierung der Idee, dass Technik kein Fluch sondern ein Segen ist, sogar die Wiederkehr der Idee, dass Technik Fortschritt bedeutet, ja sogar die vage Vorstellung, dass Geschichte ein positives Ziel hat - all das gibt es auch wegen Bill Gates und Steve Jobs, wegen IBM, Microsoft und Apple.
In den 90ern wurde der PC Allgemeingut. Wer will, kann sich einen eigenen Computer in seine Wohnung stellen und damit allerlei anfangen, seit dem Internet sogar mit außen kommunizieren. Diese Idee, dass jedermann meint, zu Hause einen PC zu brauchen, war 1985 ungefähr so exotisch wie, sagen wir, eine Idee, dass es bald eine Station auf dem Mars gibt. Aber so kam es. Die Computerbranche hat das Alltagsleben wahrscheinlich mehr verändert als die Einführung des Fernsehens in den 50ern. Ohne Computer keine „New Economy“, die Computerindustrie und die Erfinder haben die Geschwindigkeit dessen, was wir Globalisierung nennen, ungemein erhöht. Und Computer haben unser Verständnis von Technik verändert. In den 90ern wurden Computer zu Alltagsgegenständen, zur Massenware. Sie wurden von Jahr zu Jahr billiger, kleiner, besser. Diese Erfahrung ist, so glaube ich, der Kern unseres neuen, oder vielmehr alten Technikoptimismus. Genauer gesagt: Von dem klassischen Fortschrittsglauben wie er etwa in den 20er oder in den 50er Jahren herrschte unterscheidet sich die Fortschrittsidee der 90er, dass sie ohne Glaubensbekenntisse auskommt. Denn natürlich wissen wir ja, dass die Fortschrittsidee ihre Unschuld verloren hat. Unser Fortschritt ist ganz pragmatisch, unideologisch, wie ja sonst alles andere auch.
Das ist die europäische, vielleicht sogar nur die deutsche Perspektive. In den USA, wo die sagenhaften Karrieren vom Computerfreak, der in der Garage etwas zusammenbastelt zum Milliardär, stattfanden, war die Gleichung Technik gleich Fortschritt sowieso nie ernstlich in Zweifel: trotz Harrisburg. Daher rührt wohl der euphorische Ton, in dem die Macher in „Triumpf of the Nerds“ über sich selbst reden.
Ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, aber sie auf etwas hinweisen, das mir zentral zu sein scheint: die Metaphorik, die Gates Steve Jobs und all die anderen bei ihren Selbstbeschreibungen wählen.
Es ist die Sprache eines Gründungsmythos: hier reden Leute, die die Welt verändert haben und die das wissen. Es ist eine Geschichte von Kämpfen, von Tricks, wie man den Gegner überlistet, eine Geschichte wie das was groß war, z.B. IBM (im Film „the Big Blue“) klein wurde und was klein war, Microsoft, groß. Das hatte nicht nur mit Erfindungsgeist zu tun, sondern oft mit Zufällen, fast immer mit der richtigen Einschätzung, was der Markt will. Die Idee für „Windows" zum Beispiel, das Programm mit dem Gates seine marktdominierende Position begründete, war eine Erfindung von Xerox aus den frühen 70ern.
Diese Gründungssituation ist, wie in jedem Gründungsmythos, offen. Oft fällt das Wort „Freiheit“. Es gab noch keine festen Konvention, es war ein offenes Spiel. Wer zuerst etwas erfand, wer im richtigen Moment das richtige kaufte, konnte innerhalb von ein paar Jahren Herr eines Weltkonzerns sein.
Zur Sprache des Gründungsmythos gehört auch die Idee, dass die Zukunft offen ist - ja mehr noch, die Zukunft ist etwas das man „erfinden kann". Man kann sie machen, die Zukunft ist so etwas wie Knetgummi. Und wer den richtigen „Traum" hat, dem gehört sie.
Und diese Zukunft wird von Einzelnen gemacht. Es gibt auch das Team, meist junge Leute, die direkt von der Schule kommen, aber Geschichte machen einzelne: Bill Gates und Steve Jobs. Diese Figuren sind Führer. Lichtgestalten, so etwas wie Helden. Oder wie es in „Triumpf of the Nerds" einmal über den Apple-Gründer Steve Jobs heißt: „Wir reden nicht über Geld, nicht darüber wie man so schnell so viel verdient, um sich mit 40 zur Ruhe zu setzen. Wir reden über heilige Kriege, über Flüsse von Blut und Felder von toten Märtyrern, um einfach Computer zu verbessern. Und um die Welt zu verändern. Wir reden über Steve Jobs".
Es geht um Besessene, nicht um Geld, um Reichtum, das bequeme Leben, es geht um eine Mission, um einen, wie es im Kommentar heißt, „technologischen Kreuzzug".
Ist das halt die Sprache von Gründern? War das auch die Sprache von Krupp und Ford, die Sprache von jenen Gründern der ersten industrielle Revolution? Oder weist die religiöse Metaphorik auf etwas anderes hin? Auf eine Art Hybris, die typisch für Erfinder von virtuellen Welten ist?