KONSTELLATIONEN dokumentarischer Montage und Dramaturgie

Kurzbeschreibungen der Programmpunkte

Donnerstag, 19.01.23

SCHNITTSTELLE

Deutschland 1995. Buch, Regie, Montage: Harun Farocki. 23'. Deutsche Originalfassung.

Vom Musée d'art moderne in Lille beauftragt, ein Video ‚über seine Arbeit‘ herzustellen, hat Harun Farocki eine Installation für zwei Monitore geschaffen, die während der Ausstellung Die Welt nach der Photographie 1995 zu sehen war. Daraus ist der Film SCHNITTSTELLE entstanden, der Farockis eigene dokumentarische Arbeit reflektierend der Frage nachgeht, was es bedeutet, mit schon vorhandenen Bildern zu arbeiten, statt stets wieder neue, eigene Bilder herzustellen.
Der Titel spielt mit der doppelten Bedeutung des Wortes „Schnitt“ und bezieht sich dabei sowohl auf den Arbeitsplatz des Filmemachers Farocki, den Schneidetisch, als auch auf den Ort, an dem ein Mensch mittels Tastatur und Maus einen Computer bedient, die „Mensch-Maschine-Schnittstelle“. (Produktionsmitteilung, 3Sat / harunfarocki.de)

Zurück zum Programm

Schnittstelle

Kontaminierte Bilder. SCHNITTSTELLE und die Montage als Antidot

Vortrag von Volker Pantenburg

1995 entsteht Harun Farockis SCHNITTSTELLE. Es ist seine erste Zweikanal-Installation für den Kunstraum. Ausschnitte aus eigenen Arbeiten werden am Schnittplatz mit Reflexionen über die Möglichkeiten der „weichen Montage“ verbunden, bei der sich die Bilder nicht ablösen, sondern nebeneinanderstehen können. „Bisher haben stets Worte, manchmal Musiken die Bilder kommentiert – hier kommentieren Bilder Bilder“, so die programmatische Formulierung Farockis: Die Bilder sollen ihre Sache selbst verhandeln und im Zweifel auch gegeneinander aussagen können. Wie sieht dies 28 Jahre später aus? Ist die Montage ein geeignetes Mittel, Bilder zu kritisieren, entschärfen, dekontaminieren?

Zurück zum Programm

PURPLE SEA – DAS PURPURMEER

Deutschland 2020. Regie, Buch: Amel Alzakout, Khaled Abdulwahed. Montage: Philip Scheffner. Dramaturgie: Alex Gerbaulet, Merle Kröger, Philip Scheffner. 67'. Arabisch mit englischen Untertiteln.

„Ich sehe alles,“ sagt sie. Es klingt wie ein Fluch. Sonnenschein, strahlend blauer Himmel. Das Meer ruhig, gerahmt von einem Stück Reling. Diffuses Stimmengewirr. Ein friedlicher Moment, stünde das Meer nicht vertikal wie ein Wasserfall. Bilder reißen vorbei, kreisend, kopfüber, ruckhaft. Menschen im Boot, im Wasser, Schreie, Schwimmwesten, Signalpfeifen. Leuchtendes Orange, in dem sich die Sonnenstrahlen in geometrische Figuren brechen. Kein Horizont mehr, kein Himmel, kein oben und unten, nur Tiefe und kein Halt. Auch die Zeit folgt keiner Richtung, sie zieht sich zusammen zu einem brutalen Jetzt. Sie filmt und spricht. Zu ihrem Mann, zu sich selbst, vielleicht zu uns. Schwebende Beine in Jogginghosen, in Jeans, eng aneinander-gedrängt. Eine Bluse mit Schmetterlingen, die Flügel scheinen im Wasser zu schlagen. Der schlangenähnliche Gürtel eines Mantels, ein zerknickter Plastikbecher, eine Schachtel Zigaretten.
Fuck you all! Sie spricht, wütet und filmt gegen die Müdigkeit an, gegen die Kälte, gegen die ausbleibende Hilfe. Gegen das Sterben, damit irgendwas bleibt. (Pong Film)

Festivals und Auszeichnungen: Berlinale/Forum Expanded, IFF New Horizons, Filmfest Hamburg, Inconvenient Films Human Rights Film Festival Vilnius – Best Film, Filmmaker Festival Milano – Youth Jury Prize, nominiert für den Grimme-Preis

Zurück zum Programm

PS Still Press 2 k

SHIPWRECK AT THE THRESHOLD OF EUROPE

Großbritannien 2020. Forensic Architecture. 24'. Englische Originalfassung.

On 28 October 2015, a migrant boat left the coast of Western Turkey heading to the closest European coast—the Greek island of Lesvos. The sea was rough, and the boat was old and overcrowded with more than 300 passengers. It sank 280m beyond the maritime border into Greece, in EU territorial waters, resulting in the death of at least 43 people. It was the deadliest incident in a period known as the ‘long summer of migration’, when over a million refugees and migrants attempted to reach EU shores by sea.
The incident was widely reported in international media. That reporting credited Frontex, the EU’s border agency, and the Greek coastguard, as having carried out of a successful and competent rescue operation. Our analysis disputes this, however, and opens up possibilities for civil society groups to call for accountability for lives lost in the Mediterranean.
One of the survivors, the artist Amel Alzakout recorded the journey and the shipwreck on a waterproof camera attached to her wrist. This footage provides a unique situated perspective of this tragic event at the threshold of Europe. (Forensic Architecture)

Zurück zum Programm

Shipwreck

Der Duktus des Materials

Werkstattgespräch anhand von Ausschnitten zur Montage von UNAS PREGUNTAS - EIN, ZWEI FRAGEN mit Kristina Konrad (Regie) und René Frölke (Montage & Dramaturgie)

Zwischen 1987 und 1989 dokumentiert Kristina Konrad nach dem Ende der Diktatur in Uruguay mit einer U-Matic-Kamera den politischen Prozess eines Plebiszits, das am Burgfrieden, den man mit den alten Machthabern geschlossenen hatte, gerüttelt hätte. Konrad filmt auf den Straßen und spricht mit Menschen aus allen Lagern über ihre Meinung. Das Material bleibt liegen. Erst 30 Jahre später wendet sich Konrad mit René Frölke dem Material wieder zu. Für Konrad ist es eine Wiederannäherung an die eigenen Erfahrungen, die mit dem Material verbunden sind. Für Frölke eine Annäherung an einen fremden Ort, eine fremde Zeit, eine fremde Sprache. Die 12 Stunden Rohmaterial setzen sich nicht nur aus unzähligen Meinungen zusammen, sondern auch aus Arbeitsschwenks, Abbrüchen und Abschweifungen. Der vierstündige Film, der am Ende entsteht, ist nicht nur die Betrachtung einer vorgefundenen gesellschaftlichen Situation, sondern auch die Betrachtung der Arbeit des Filmteams. Die Montage versucht die Balance zwischen Inhalt und dem Duktus des Materials zu finden. Anhand von Ausschnitten sprechen Kristina Konrad und René Frölke über die Arbeit an der Montage des Films.

Zurück zum Programm

UNAS PREGUNTAS – EIN, ZWEI FRAGEN

Deutschland/Uruguay 2018. Realisation, Kamera: Kristina Konrad. Montage, Dramaturgie: René Frölke. 237'. Spanisch mit Untertiteln.

Uruguay Ende der 80er Jahre. 1986 verabschiedete das Parlament ein Amnestiegesetz für die während der Diktatur (1973 - 85) von Militär und Polizei begangenen Menschrechtsverletzungen und Verbrechen. Eine Volksinitiative forderte in einem Referendum eine Volksabstimmung über das umstrittene Gesetz. Viele Angehörige von Verschwundenen und Ermordeten verlangten nach Aufklärung, die durch das Gesetz der Straffreiheit verhindert wurde. UNAS PREGUNTAS verarbeitet U-Matic-Aufnahmen, die in der Zeit von 1987-89 entstanden und hauptsächlich aus Straßeninterviews bestehen. Wie in einer Zeitkapsel entsteht ein vielschichtiges Bild des Landes und seiner Bewohner, in denen die Werte einer demokratischen Gesellschaft, Begriffe wie: Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, immer wieder hinterfragt und neu ausgelotet werden. (Weltfilm)

Festivals (Auswahl): Berlinale/Forum, Cinéma du Réel, Bafici, Festival Internacional de Cine Montevideo, Lincoln Center: The Art of the Real

Zurück zum Programm

unaspreguntas 1

ZUSTAND UND GELÄNDE

Deutschland 2019. Buch, Regie, Montage: Ute Adamczewski. Tongestaltung: Ludwig Berger. 118'. Deutsche Originalfassung.

Ute Adamczewskis Dokumentarfilm ZUSTAND UND GELÄNDE erzählt die Geschichte einer Eskalation. Ausgangspunkt des Films sind sogenannte wilde Konzentrationslager, die unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ab März 1933 zur Ausschaltung politischer Gegner*innen eingerichtet wurden und heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind. ZUSTAND UND GELÄNDE handelt von den Überschreibungen der Orte durch die Zeit und davon, wie sich unterschiedliche politische Erinnerungskulturen in sie eingeschrieben haben. Der Film verknüpft drei aufeinanderfolgende Zeiträume der deutschen Geschichte zu einem losen Narrativ, in dem Gewalt zur Durchsetzung von Macht eine wesentliche Rolle spielt. […] Daraus entsteht das drückende Gefühl eines Insistierens der Vergangenheit auf eine Gegenwart, wird Geschichte als Ge-schichtetes begreifbar, in jedem Bild potenzieren sich die Zeitpunkte und Zeiträume und beharren auf ihr Jetzt. (Grandfilm)

Festivals und Auszeichnungen (Auswahl): DOK.Leipzig – Goldene Taube, DOK.Leipzig – ver.di-Preis, FID Marseille – Prix premier, Duisburger Filmwoche, Achtung:Berlin – Preis der ökumenischen Jury, Bester Dokumentarfilm – Preis der Deutschen Filmkritik, Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum

Zurück zum Programm

Zustand und Gelnde Grandfilm 01 k

Freitag, 20.01.23

Abstrahierte Landschaften

Werkstattgespräch anhand von Ausschnitten zur Tonspur von ZUSTAND UND GELÄNDE mit Ute Adamczewski (Regie) und Ludwig Berger (Tongestaltung)

Während Straßen, Plätze, Bauwerke, Felder und Gestrüpp gezeigt werden und eine Frauenstimme Ausschnitte aus Verwaltungsakten und Erinnerungsberichten liest, werden Klangaufzeichnungen von disparaten Ereignissen hörbar: Fallender Schnee in Buchenwald, ein Männerchor, der SA-Lieder singt, Schreie in einer Bahnhofshalle, eingefrorene Raumtöne. Anhand von Ausschnitten berichten Ute Adamczewski und Ludwig Berger von der gemeinsamen Arbeit an den Klanglandschaften von Zustand und Gelände. Zwischen den Zeitlichkeiten von Bild und Text etabliert die Tonspur eine Bewegung, die ihre Konstruiertheit offenlegt und Denkräume öffnet.

Zurück zum Programm

Erzählstrategien – Montageformen

Vortrag von Gabriele Voss

Was ist eine Erzählung? Und was ist das Gegenteil einer Erzählung? Welche Narrative gibt es und was unterscheidet sie? Wie entstehen Interesse und Aufmerksamkeit beim Publikum? Wie verhält sich das gedrehte Material zu den dramaturgischen Anforderungen? Und was haben die verschiedenen Erzähl-formen mit unserer Wahrnehmung zu tun?
Es gibt Plots und Beulen, Ketten und Netze, horizontale und vertikale Montagen. Sobald es Dauer gibt, kommt der Pfeil der Zeit ins Spiel. Möglichkeiten der Montage gibt es viele – bei nur zehn Einstellungen mehr als drei Millionen. Woher kommen die Kriterien, um aus der Fülle der Möglichkeiten auszuwählen?

Zurück zum Programm

REGELN AM BAND BEI HOHER GESCHWINDIGKEIT

Deutschland 2020. Buch, Regie: Yulia Lokshina. Montage: Urte Alfs, Yulia Lokshina. 92'. Deutsch, Rumänisch, Polnisch, Russisch mit deutschen Untertiteln.

In der westdeutschen Provinz kämpfen osteuropäische Leiharbeiter*innen des größten Schweineschlachtbetriebs des Landes ums Überleben – und AktivistInnen, die sich für deren Rechte einsetzen, mit den Behörden. Zur gleichen Zeit proben Münchener Gymnasiast:innen das Stück Die Heilige Johanna der Schlachthöfe und reflektieren über die deutschen Wirtschaftsstrukturen und ihr Verhältnis dazu.
Verwoben mit den Gedankengängen der Jugendlichen und ihrer Auseinandersetzung mit dem Text in den Proben erzählt der Film in unterschiedlichen Fragmenten über Bedingungen und Facetten von Leiharbeit und Arbeitsmigration in Deutschland. (jip Film)

Festivals und Auszeichnungen (Auswahl): Preis der Deutschen Filmkritik – Bester Dokumentarfilm, DOK.fest München – Megaherz Student Award, 41. Filmfestival Max-Ophüls-Preis – Bester Dokumentarfilm

Zurück zum Programm

regeln am band schweine spielen 1536x1152

MICHAEL IRONSIDE AND I

Deutschland 2021. Regie, Buch und Schnitt: Marian Mayland. 15'. Englische Originalfassung.

Ich besuche fiktive Räume einer Kindheit der neunziger Jahre, während ich darüber nachdenke, was aus ihren Bewohnern geworden ist – männlichen, technikbegeisterten Heranwachsenden. (Marian Mayland)

Festivals: EMAF Osnabrück, IKFF Hamburg, KFF Köln

Zurück zum Programm

Michael Ironside and I 1


LAMARCK

Deutschland 2022. Regie, Buch, Montage: Marian Mayland. 27'. Deutsche Originalfassung.

Die Welt ist ja nicht immer schön, sagt meine Mutter. Mein Kind wacht auf. Meine Eltern lächeln sich gegenseitig an und erzählen - Das Haus, in dem meine Mutter nie leben wollte, die psychische Krankheit meines Onkels, die meine Großeltern nie sehen wollten, der Atomkrieg, der nie kam. Sie sprechen vom Unverwirklichten. Sich sterilisieren zu lassen, sich das Leben zu nehmen, zusammenzupacken und zu gehen. (Marian Mayland)

Festivals und Auszeichnungen (Auswahl): Deutscher Kurzfilmpreis – Bester Dokumentarfilm, Kurzfilmtage Oberhausen 2022 – Preis des NRW-Wettbewerbs

Zurück zum Programm

Lamarck2