Filmliste
Sprache und Sprechen im Dokumentarfilm
L’Ambassade
(The Embassy, auch unter dem Titel Le vrai et le faux) Chris Marker, Frankreich 1973, 20 Min.
Chris Markers überraschende künstlerische Reaktion auf den Pinochet-Putsch 1973 in Chile: In einer Botschaft finden sich politische Flüchtlinge ein: Besorgte Gesichter, improvisierte Bettenlager, einer filmt mit Super 8 und kommentiert es später. Lähmung überfällt die Gruppe, endloses Warten, Schachspielen, die ersten Nachrichten im Fernsehen. Am Ende schwenkt die Kamera aus dem Fenster auf den Pariser Eiffelturm. Bis dato wähnte man sich in Chile. Vielleicht filmte Marker das Krisentreffen einer Politgruppe oder das von chilenischen Exilanten in Paris. Wie eine »Fälschung« zum Dokument (einer Verzweiflung) werden kann. (Thomas Tode)
Fr. 19.09., 14.30 Uhr
Falling Out
Michael Brown, Neuseeland 2004, 15 Min.
Eine Reise an die Ränder der neuseeländischen Gesellschaft. Ein alter Galgenstrick erinnert sich an einen Kumpel sowie die gemeinsame Zeit und denkt dabei über Hedonismus, Freundschaft und den Lauf der Zeit nach. Ein innerer Monolog mit Bildern.
Fr. 19.09., 19.30 Uhr (im Kurzfilmprogramm „Die Kraft der Schallwelle“)
The Halfmoon Files
Philip Scheffner, Deutschland 2007, 87 Min.
"Es war einmal ein Mann.
Er geriet in den europäischen Krieg.
Deutschland nahm diesen Mann gefangen.
Er möchte nach Indien zurückkehren.
Wenn Gott gnädig ist, wird er bald Frieden machen.
Dann wird dieser Mann von hier fortgehen."
Knisternd verklingen die Worte von Mall Singh, gesprochen in einen Phonographentrichter am 11. Dezember 1916 in der Stadt Wünsdorf bei Berlin. 90 Jahre später ist Mall Singh eine Nummer auf einer alten Schellackplatte in einem Archiv, eine unter Hunderten von Stimmen von Kolonialsoldaten des 1. Weltkrieges. Die Aufnahmen entstanden in einer einmaligen Allianz aus Militär, Wissenschaft und Unterhaltungsindustrie. Philip Scheffner folgt in seiner experimentellen Spurensuche "The Halfmoon Files" diesen Stimmen an den Ort ihrer Aufnahme. Wie in einem Memoryspiel, das bis zum Ende unvollständig bleibt, deckt er Bilder und Töne auf, in denen die Geister der Vergangenheit zum Leben erwachen. „The Halfmoon Files“ ist eine Gespenstergeschichte, ein Dokumentarfilm und eine vielschichtige audiovisuelle Recherche zu den Verflechtungen von Politik, Kolonialismus, Wissenschaft und Medien.
Sa. 20.09., 9.30 Uhr
Nome Road System
Rainer Komers, Deutschland 2004, 26:35 Min.
„Nome Road System“ ist der zweite Teil der Trilogie „ErdBewegung“, eine Komposition von Bildern und Tönen, ohne Dialoge und Texte. Die drei Teile („B224“, „Nome Road System“ und „NH2“) können wie Sätze einer Symphonie für sich allein stehen, ergeben aber zusammen ein Ganzes. Das „Nome Road System“ zieht sich durch die arktischen, kaum industrialisierten und nur dünn besiedelten Regionen Alaskas. Jede dieser Straßen hat ihre eigene Faszination, ihre eigene Geschichte. Entlang dieser Straßen wird die Erde bewegt.
Fr. 19.09., 19.30 Uhr (im Kurzfilmprogramm „Die Kraft der Schallwelle“)
N.U. – Nettezza Urbana
Michelangelo Antonioni, Italien 1948, 11 Min.
2007 ist Antonioni im Alter von 94 Jahren gestorben. Seine großen Filme der sechziger Jahre haben sich fest in die Filmkultur eingeschrieben; so ‚La Notte’, ‚L’eclisse’, ‚Blow Up’ und ‚Zabriskie Point’. Relativ unbekannt sind dagegen seine frühen kurzen Dokumentarfilme. Antonionis Filmarbeit beginnt zu Zeiten des Neo-Realismus und er interessiert sich schon hier auffällig für den Menschen und die Landschaft.
„N.U.“ beobachtet den Tagesablauf von Straßenkehrern in Rom. Der Film beginnt und endet an einem Bahngelände in den Außenbezirken. Männer in schweren Mänteln im Morgengrauen um eine Feuerstelle, dann beim Besenreinigen an einem Brunnen. Mit dem Tempo der sich allmählich ins Stadtinnere vorarbeitenden Straßenkehrer komponiert Antonioni wie ein pointillistischer Maler minimale Episoden um private Lebensausschnitte, wie sie sich unmittelbar auf der Straße ereignen und, indem sie Abfall hinterlassen, direkt von den stoisch fleißigen Kehrern beseitigt werden. Diese Form ist weder blanke Sozialreportage noch neutraler Impressionismus.
Fr. 19.09., 19.30 Uhr (im Kurzfilmprogramm „Die Kraft der Schallwelle“)
o.T.
Anna Berger, Deutschland 2006, 12 Min.
Der Film handelt vom Schmerz über den Tod der eigenen Mutter. Im Voice-Over spricht eine junge Frau über die Unmöglichkeit, diesem Schmerz mit Therapien beizukommen. Sie tut dies mit demselben lakonischen Humor, der auch die Bilder des Filmes prägt. Es sind Bilder von absurden Momenten, in denen sich der Riss zeigt, der durch die Welt geht, wenn alles im Leben irgendwie nicht mehr stimmt. „Ein kurzer Essay über Hilflosigkeit. Quatschen hilft. Lachen auch.” (Anna Berger) Do. 18.09., 14.30 Uhr
Smith, James O. – Organist, USA
Klaus Wildenhahn, Deutschland 1965/66, Teil 1: 57 Min., Teil 2: 45 Min.
Teil 1 – Die Europa-Tournee des Jazz-Organisten Jimmy Smith Beobachtungen, wie Musik gemacht wird. Von James O. Smith / Orgel, Quentin Warren / Gitarre, Billy Hart / Schlagzeug. Und Bilder von einer Reise. Das Jimmy-Smith-Trio auf Tournee durch Europa: 15 Stationen vom 10. November bis 6. Dezember 1965. Wildenhahn: „Wir nahmen das im Jazz vorhandene Prinzip von einer bestimmten Struktur und der darin eingebetteten lebendigen Improvisationen an.“ Gedreht mit einer Kamera in langen Einstellungen: Langeweile, Witze, das Rassenproblem, Warten, Langeweile, Warten.
Teil 2 – Ein Jazz-Organist in Amerika Jimmy Smith’ Herkunft: New York City, USA. Alltag in Manhattan, das Büro des Managers, Plattenaufnahmen. Aber die Bilder handeln nicht nur von Musik. Der Vater von Jimmy Smith war Arbeiter und wuchs in einem Farbigen-Ghetto auf. Der Sohn von Jimmy Smith wächst auf in einem Haus, dessen Grund und Boden im weiten Umkreis seinem Vater gehört. Der Vater ist Jazzmusiker und wohlhabend. Er ist eine Ausnahme, die wenigsten Jazzmusiker sind wohlhabend. Do. 18.09., 19.30 Uhr
Smells Like Teen Spirit
Jem Cohen, USA 2007, 7:37 Min.
"Patti Smith asked if I would do a short film to accompany the release of her version of Nirvana's Smells Like Teen Spirit. As neither of us are fans of the music video format or industry, we approached the project as a short film, with no lip sync, that would simply try to get at the heart of her version of the song. I shot in Super 8 film and pulled a few things from my archive." -- Jem Cohen.
Fr. 19.09., 19.30 Uhr (im Kurzfilmprogramm „Die Kraft der Schallwelle“)
Three Poems by Spoon Jackson
Michel Wenzer, Schweden 2003, 14:35 Min.
Drei kurze Dokumentarfilme über Spoon Jackson, einen Mann, der 25 Jahre im Gefängnis verbracht hat. Seine Methode zu überleben sind Gedichte. Ein bewegender Film, der die Bildersprache auf die telefonisch übermittelten Gedichte Spoons abstimmt.
Fr. 19.09., 19.30 Uhr (Kurzfilmprogramm „Die Kraft der Schallwelle“)
Tolya
Rodeon Brodsky, Israel 2006, 9:30 Min.
Was macht ein russischer Gastarbeiter, der am Internationalen Frauentag zuhause anrufen will und sich seiner geliebten Frau nicht verständlich machen kann, weil ihm die Zähne ausgefallen sind? Tolya kann zwar nicht sprechen – seine romantische Nachricht vermittelt er trotzdem.
Fr. 19.09., 19.30 Uhr (Kurzfilmprogramm „Die Kraft der Schallwelle“)
Im Rahmen der Filmgespräche werden außerdem Ausschnitte aus den folgenden Filmen zu sehen sein:
Brinkmanns Zorn
Harald Bergmann, D 2006, 105 min.
„Brinkmanns Zorn" portraitiert einen Dichter, der alles auf einmal begehrt - Liebe, Tod, Pop, Hass, Kunst. Bedingungslos gleichzeitig und mit gnadenloser sprachlicher Wucht hat die Literaturikone Rolf Dieter Brinkmann auf jedes Alltagsdetail eingedroschen. Den Original-Tonband- und Super8-Aufnahmen Brinkmanns hat Regisseur Harald Bergmann eine visuelle Welt hinzugefügt, die das sprachliche und soziale Universum Brinkmanns nachzeichnet. Während Brinkmanns grenzenlos wütende und aufschäumend leidenschaftliche Stimme über den Zuschauer hereinbricht, folgt man den lippensynchron agierenden Schauspielern durch die in schöner bundesrepublikanischer Wohlstandsgemütlichkeit eingerichtete Großstadt. Bei Brinkmanns Stadtbeschimpfung müssen sich nicht nur der faulig-gelbe Himmel und die darin fliegenden Vögel, sondern auch Gebäude und Straßen den Beschwerden des Dichters stellen. In furiosen Wortkaskaden und lustvoller Verweigerung berauscht sich der wütende Flaneur Brinkmann am Alltagshass. Dabei erzählt der Film aber auch die Geschichte einer fatalen Liebe – einer Liebe zur Sprache, die nicht mehr vertrauenswürdig ist und der Liebe zu seinem Sohn, dessen Sprachbehinderung ihn scheinbar unrettbar fern von seinem Vater entrückt hat. Sa. 20.09., 11 Uhr
Danach hätte es schön sein müssen
Karin Jurschick, Deutschland 2001, 73 min.
1974 bringt sich die Frau um. 1997 treffe ich den Mann wieder. Er wohnt immer noch in der Wohnung, in die er vor 41 Jahren mit der Frau und dem Kind eingezogen ist. Die Wohnung ist nahezu unverändert. Der Mann ist mein Vater. Danach und über die folgenden 2 1/2 Jahre hinweg mache ich mit einer DV-Kamera Aufnahmen. Ich beobachte den Vater, folge ihm sogar auf eine Schiffsreise durch die Karibik. Die Kamera ermöglicht Distanz, aber auch Nähe. (Karin Jurschick)
Nicht mehr
Karin Jurschick, Deutschland 2007, 30 min.
Die Erinnerungen brauchen keinen Platz, aber die Körper und die Dinge. Was mache ich mit ihnen? Was bleibt nach dem Tod? - Ein letzter Film über den Vater. Do. 18.09., 16.00 Uhr
Noch einmal HH4: Reeperbahn nebenan
Klaus Wildenhahn, Deutschland 1991, Kurzfassung: 59 min; Langfassung: 95 min.
Aus 17 Kurzfilmen – hergestellt für das Regionalmagazin des NDR – machte Wildenhahn einen poetischen Dokumentarfilm: die Menschen in St. Pauli, gesehen mit dem persönlichen Blick von Wildenhahn.
Der Mann mit der roten Nelke
Klaus Wildenhahn, Deutschland 1974/75, 61 min.
Medienkritik. Thema: Talk Show: Dietmar Schönherr absolviert seine beiden letzten Folgen der Sendereihe „Je später der Abend…“, produziert vom WDR. „Ein Film über Produktionsbedingungen beim Fernsehen. Also: ein Film über Verantwortung, Konkurrenz, Leistungsdruck, Ohnmacht. Wirklich ein deprimierender Film.“(Eva Orbanz/H.H.Prinzler) Fr. 19.09., 10 Uhr
Prinzessinnenbad
Bettina Blümner, Deutschland 2007, 92 min.
Klara, Mina und Tanutscha sind fünfzehn. Aufgewachsen bei ihren Müttern in Berlin Kreuzberg kennen sie sich seit ihrer Kindheit. Sie teilen dieselben Interessen, gehen zusammen auf Parties, stehen auf ähnliche Jungs oder verbringen die Tage mit Freunden im Prinzenbad. Eigentlich sind sie unzertrennlich. Doch an der Schwelle zum Erwachsenwerden, fangen die drei Mädchen an, ihre eigenen Wege in der Welt zu suchen: Klara bricht die Schule ab, Mina möchte mit ihrem Freund zusammen sein und Tanutscha fordert von ihrer Mutter mehr Freiheit. Fr. 19.09., 12 Uhr
Thomas Harlan - Wandersplitter
Christoph Hübner, Deutschland 2007, 96 min.
Ein Sanatorium, ein Zimmer, ein Schreibtisch, Aussicht auf die Berge. Der Kamera zugewandt: Thomas Harlan, Autor und Filmemacher, Abenteurer, Nazi-Verfolger. Er spricht, denkt nach, verführt, bricht ab. Ein Film entsteht im Kopf: eine Fahrt durch Moskau, eine Begegnung mit Hitler, 'Sprache als Kathedrale’, die stillschweigende Rehabilitierung von Kriegsverbrechern, angezündete Kinos und das Verhältnis zu seinem Vater, dem „Jud Süß“-Regisseur Veit Harlan. Fr. 19.09., 16.30 Uhr
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Wer hat Angst vor Kathy Acker?
Barbara Caspar, Österreich 2008, 84 min.
Kathy Acker, amerikanische Kultautorin des Postpunk der späten 70er und 80er Jahre, war eine der ersten Frauen, die in ihren Romanen weibliche Sexualität und Lust ins Zentrum ihres Schreibens rückte: anarchisch, ekstatisch, tödlich und lebensbejahend zugleich. Ihre literarische Arbeit steht in engem Zusammenhang mit der New Yorker Kunst- und Undergroundszene, für die sie bis heute eine heißgeliebte Ikone und Symbolfigur ist.
Caspars Film ist eine vielschichtige, kunstvolle tour-de-force. Animationen, grafische Texte und Reenactment-Szenen aus Ackers Bestseller „Blood & Guts in High School” kommen ebenso zum Einsatz wie Interviews mit wichtigen Zeitzeugen, darunter William Burroughs, Kathleen Hanna & Bikini Kill, Richard Hell & the Voidoids, Barney Rosset und Ira Silverberg. Sa. 20.09., 11 Uhr